Anna Nero
Die Künstlerin Anna Nero (*1988 in Moskau) lebt und arbeitet in Frankfurt am Main und Leipzig. Sie hat an der Kunsthochschule Mainz sowie der Hochschule für Grafik und Buchkunst Leipzig studiert und ist Teilnehmerin der Ausstellung “Jetzt! Junge Malerei in Deutschland”, die aktuell in den Hamburger Deichtorhallen zu sehen ist. Das Interview hat Corona-bedingt auf Distanz und digital stattgefunden. In unserem Gespräch geht es neben Annas Malerei auch um True Crime Podcasts, große Penisse, den Einfluss der Familie auf die künstlerische Entwicklung und um Vernissagen, die sich wie Klassenfahrten anfühlen.
Anna, wie geht’s dir aktuell mitten im Corona-Wahnsinn? Inwiefern hat der Lockdown deine Situation und dein Arbeiten verändert?
Mir geht’s ganz gut. Meine Ausstellung „Fingers in many Pies“ in Berlin wurde am 13. März eröffnet, also noch ganz knapp vor dem Lockdown. Es war schon Apokalypse-Stimmung und nicht so viele Leute da. Meine erste Ausstellung bei Feldbusch Wiesner Rudolph, aber definitiv nicht die letzte. Danach habe ich eine Auszeit genommen und ein paar Wochen mit meinem Freund in Leipzig verbracht. Jetzt bin ich wieder in meinem Atelier in Frankfurt. Im Prinzip ist mein Studio-Alltag während der Quarantäne kaum anders als sonst.
Gestern habe ich die von dir erwähnte Ausstellung bei Feldbusch Wiesner Rudolph in Berlin besucht. Es war schön zu sehen, dass deine Arbeiten live noch mehr Kraft entfalten als online. „In echt“ haben deine Bilder wesentlich mehr Tiefe als auf dem Handyscreen. Wie empfindest du die Situation, dass durch Social Media letztlich mehr Menschen deine Arbeiten „digital konsumieren“ als tatsächlich live sehen?
Ich sehe das nicht so kritisch wie manche (gerade ältere) Kollegen. Klar ist es auf dem Screen nicht das gleiche, auch weil die Dimensionen nicht stimmen und die Farben verzerrt werden. Aber es soll ja nicht die Malerei ersetzen, sondern Lust auf mehr machen. Ich habe auch meine Studenten letztes Semester ermutigt, sich Kunst auf allen Kanälen anzuschauen: in echt, im Buch und auch im Internet.
Auf mich wirkt es bei deinen Bildern oft so, als würden die grafischen und flächigen Elemente darin gegen das Dreidimensionale antreten. Erlebst du es auch als einen Wettstreit zwischen diesen Ebenen oder ist es eher Harmonie für dich?
Ich finde Disharmonie prima. Viele leckere Farben und shiny Flächen - da muss es eben auch ein bisschen Reibung geben, sonst wär's ja langweilig.
Und dann ist da noch so ein Kräftemessen finde ich, zwischen analog und digital. Durch die Elemente, die an Grafik-Design erinnern, kriegen die Bilder etwas Digitales, aber gleichzeitig weisen die Arbeiten so viele malerische Spuren auf, dass man sie doch vornehmlich als analoge Öl- und Acryl-Gemälde wahrnimmt. Was ist näher an der Wahrheit?
Die „digitale“ Ästhetik meiner Arbeiten ist bloß eine Täuschung, denn ich plane meine Bilder nie am Computer vor. Mein Vater ist Werbegrafiker, und so habe ich als Kind schon mit dem prähistorischen Photoshop 4 gespielt. Diese visuelle Sprache hat sich wohl auf meine spätere Malerei übertragen. Aber eigentlich ist mein Prozess absolut analog – Pinsel, Farbe, Sprühdose, Malerkrepp. Es ist mir wichtig, dass man immer wieder auf grobe Pinselstriche und Spuren der Malerei trifft, damit das Ganze nicht zu glatt bleibt.
Auch wenn die Begriffe etwas nerven, aber ist es für dich eigentlich eher eine abstrakte oder eher eine figurative bzw. gegenständliche Malerei?
Also figurativ ist es eher weniger, da kaum Figuren bzw. Personen auftauchen. Ich würde sagen, meine Malerei bewegt sich zwischen gegenständlich und abstrakt.
Inwiefern waren deine Arbeiten früher anders?
Früher habe ich Figuren gemalt, in seltsamen Räumlichkeiten. Zwei Aspekte waren aber damals schon gleich: Es gab viele scharfe Kanten (Tesa©, wann sponsort ihr mich endlich?) und unterschiedliche Oberflächen und Malmodi. Die Figuren habe ich dann nach und nach aus den Bildern verbannt und durch Pinselstriche und unorthodoxe Objekte ersetzt. Es war ein langer und zäher Prozess, da ich anfangs nicht wusste, was und wie man malen soll, wenn man eben keine Menschen und Geschichten mehr malen will.
Okay, verstehe. Ich frage deswegen nach älteren Arbeiten und nach der Weiterentwicklung, weil ich besonders spannend finde, wie man es als Maler*in schafft, zu einer verlässlichen Wiedererkennbarkeit zu gelangen und eine Alleinstellung zu erreichen.
Ich denke, man schafft das, indem man herausfindet, was einen selbst wirklich interessiert und das hartnäckig verfolgt. Aber ehrlich gesagt denke ich beim Malen nicht an Wiedererkennbarkeit oder sowas wie eine „Marke“. Ich vertraue einfach darauf, dass es schon irgendwie klappt. Ich finde es auch wichtig, sich als Künstler nicht zu sehr auf eine Masche zu verlassen, sondern auch immer wieder Neues auszuprobieren.
Den Titel deiner Ausstellung „FINGERS IN MANY PIES“ nehme ich jetzt mal wörtlich, weil du deine Finger ja tatsächlich in viele Materialien und Themen steckst. Neben der Malerei sind dort auch viele Keramiken zu sehen – was reizt dich daran besonders?
Meine Aufmerksamkeitsspanne ist kurz und ich möchte tatsächlich immer alles ausprobieren und überall meine Finger reinstecken. Ich wollte schon immer Objekte machen, aber wusste nicht so richtig wie. Mein ehemaliger Professor, Ingo Meller, hat mich auch nicht besonders ermutigt. Also ließ ich es sein. Als ich mit meinem Studium fertig war, fühlte ich mich freier.
Die Keramiken wirken beinahe so, als wenn sie gerade aus den Bildern herausgesprungen wären. Sie ergänzen sich auch großartig. Kannst du mit den Keramiken etwas schaffen, was deine Malerei nicht schafft?
Prinzipiell habe ich immer Lust, neue Techniken und Materialien auszuprobieren. Ich bin lockerer bei der Keramik, habe weniger Erwartungen an das Endprodukt als bei der Malerei, wo es ja schon manchmal sehr technisch wird bei mir. Ich habe nicht so ein komplexes technisches Wissen in der Bildhauerei, aber dadurch stehe ich mir auch nicht selbst im Weg damit.
Deine Arbeiten sind ja aktuell nicht nur in Berlin zu sehen, sondern auch in den Deichtorhallen in Hamburg bei der Ausstellung „Jetzt! Junge Malerei in Deutschland“, die zuvor schon in Bonn, Wiesbaden und Chemnitz Station gemacht und viel Aufmerksamkeit bekommen hat. Glückwunsch dazu! Ist es nicht der Hammer in vier Museen in Deutschland innerhalb so kurzer Zeit auszustellen – wie fühlt sich das an?
Ich habe erst gar nicht realisiert, was für eine große Sache das ist. Ich war die letzte Künstlerin, die das Kuratoren-Team besucht hat. Erst als die ersten drei Eröffnungen anliefen habe ich gemerkt, wie besonders es ist, Teil dieser Ausstellung zu sein.
Du bist da ja in bester Gesellschaft mit großartigen jungen Maler*innen, wie Ina Gerken, Moritz Neuhoff, Aneta Kajzer, Peppi Bottrop, Vivian Greven, Jana Schröder und vielen weiteren – welche Arbeiten deiner Kolleg*innen haben dich besonders beeindruckt?
Die meisten Teilnehmer kannte ich schon, wenn nicht persönlich dann zumindest digital. Mit vielen bin ich schon seit Jahren befreundet, wie z.B. Aneta Kajzer und Daniel Rossi. Die Vernissagen waren wie eine Klassenfahrt. Neuentdeckungen waren für mich Dana Greiner, Moritz Neuhoff und Toulu Hassani.
Du hast in Mainz und Leipzig studiert – was hast du aus der Zeit jeweils mitgenommen?
Mainz ist ein guter Inkubator. Man hat Zeit und Platz und Ruhe, den eigenen Ansatz zu entwickeln. In Leipzig habe ich dann die ersten Erfahrungen mit Ausstellungen und Kooperationen mit anderen Künstlern gemacht und auch die Arbeitsweise entwickelt, die ich heute noch verfolge.
Und wie war die Zeit bei Heribert Ottersbach?
Ich war die meiste Zeit bei Ingo Meller, wir haben uns nicht so gut verstanden. Aber gerade dieser Konflikt hat mich selbständiger werden lassen. Bei Heribert war ich dann Meisterschülerin, und es war ein unangestrengtes, fast kollegiales Verhältnis. Wir verstehen uns immer noch gut.
Du hast in Leipzig eine Diplomarbeit geschrieben zum Thema „Fetischismus“. Und auch in deiner künstlerischen Praxis taucht das Thema Fetisch immer wieder auf. Was reizt dich daran?
Meine Diplomarbeit behandelte das Thema Do-It-Yourself-Kultur, Fetischismus und Kunst. Darin untersuchte ich die Verwandtschaft und Verflechtung von Amateurkunst und professioneller Kunst hinsichtlich ihres Fetischcharakters. Meine These war: Die manuelle Produktion von Artefakten, sei es malen, basteln oder heimwerken sind deshalb so populär, weil sie ein sinnliches, fetischistisches Grundbedürfnis decken. Was mich daran reizt, ist die Tatsache, dass ich wohl selbst Fetischistin bin und ein starkes Bedürfnis empfinde, Objekte herzustellen.
Ist Fetisch hier auch sexuell gemeint oder jegliche Art von Fetisch?
Wie ist deine Arbeitsweise, kannst du den Prozess beschreiben, wie deine Arbeiten entstehen?
Ein Malprozess beginnt meistens mit strengen, geometrischen Konstruktionen. Raster und Gitter, Zäune, Muster, Rahmen, Regale. Im nächsten Schritt folgen eher spielerisch und intuitiv gesetzte Gesten und Flächen, die sich an das darunter liegende System anheften oder es stören und zersetzen. Daraufhin folgt meist ein systematisch-konstruiertes Element. Das klingt jetzt alles systematischer, als es ist. Im Prinzip gebe ich mir selbst eine anfängliche Struktur, auf die ich reagieren kann. Der Rest passiert von selbst.
Hörst du Musik beim Malen?
Eher Podcasts. Ich würde gerne behaupten, meist zu Politik und Wissenschaft. Aber die Wahrheit ist, ich höre vor allem True Crime. Ich weiss alles über Ted Bundy und Charles Manson. Das beruhigt mich irgendwie total. Wenn mein Freund sich deswegen über mich lustig macht, sage ich: „Ich weiss, wie man eine Leiche verschwinden lässt.“
Haha, sehr schön! Hörst du deutsche True Crime Podcasts, wie „ZEIT Verbrechen“, „Mordlust“ etc. oder eher internationale Sachen? Kannst du da was empfehlen?
Ich höre fast ausschließlich amerikanische Podcasts, da ich nach meinen zwei Residencies in den USA eine starke Anziehung zu diesem Land verspüre - trotz ihrer absolut beschissenen Politik. Ich empfehle “Sword and Scale“ (wirklich nichts für schwache Nerven), „Casefile“, „Serial“ und „Crime Junkies“. Und „Lore“, wobei da geht es um Folklore und Mystery, nicht so viel um Crime.
Sehr interessant, da werde ich mal reinhören! Danke für die Empfehlungen. Und was inspiriert dich noch so: andere Künstler (welche?) oder eher Alltägliches, Popkultur, Werbung, Netflix-Serien, … ?
Nicht unbedingt in der Reihenfolge: die Ästhetik von Diagrammen, Würstchen, Make-up, überdurchschnittlich große Penisse, Netflix, Nippes, Religion, Folklore, Magie, Mode. Es gibt viele inspirierende Künstler, aber ich halte mich meistens an meine vier Hausheiligen: Mary Heilmann, Jonathan Lasker, Tomma Abts und Andreas Schulze.
Du bist in Moskau zur Welt gekommen und lebst heute in Frankfurt. Wann kamst du nach Deutschland und welchen Einfluss habe diese Orte und diese Geschichte auf dich und deine heutigen Arbeiten?
Ich kam 1995 nach Frankfurt, da war ich sieben. Meine Eltern sind Teil einer jüdisch-russischen Minderheit, wir waren sogenannte Kontingentflüchtlinge. Meine gesamte Familie besteht aus Künstlern, und das hat mich geprägt. Auch die akademisch-künstlerische Ausbildung meiner Eltern und meiner Oma (die am Surikov in Moskau studiert hat) färbte sozusagen auf mich ab. Heute lebe ich wieder in der Stadt, in der ich einen großen Teil meiner Kindheit und Jugend verbrachte.
Hat auch dein jüdischer Glaube Einfluss auf deine Kunst oder spielt Religion keine Rolle?
Meine Identität als Jüdin und Migrantin spielt für mich persönlich eine Rolle, gerade jetzt, wo die Schmocks von der AfD so sichtbar geworden sind. In der Kunst spielt es ebenfalls eine Rolle, schließlich gibt es im Judentum ein Bildverbot und im russisch-orthodoxen Glauben Ikonenverehrung. Beides hat mich geprägt, vielleicht ist das der Grund, warum meine Arbeit eine dünne Membran zwischen Gegenständlichkeit und Abstraktion bildet.
Mal was anderes: Ich mag ja sehr die Titel deiner Arbeiten, wie „Hormonloch“, „Verwaltungskrake“ oder „Jetleg with happy end“. Dadurch kommt nochmal eine neue Ebene rein, plötzlich sieht man mehr Witz und Ironie in den Arbeiten. Wie entstehen diese Titel und wie wichtig ist dir der Humor?
Humor ist eine ernste Sache. Ich habe keine Lust nur so formal-ästhetische Wichtigtuer-Malerei zu machen, eine Prise Selbstironie hat noch niemandem geschadet. Ich nehme die Titel aus Büchern, Filmen oder Podcasts. Sie sollen dabei helfen, in den Bildern ein Narrativ oder eine mögliche Lesart zu entdecken.
What’s next? Was steht in den nächsten Monaten an?
Im September erscheint meine erste Monographie all things considered beim Kerber Verlag. Darauf freue ich mich schon sehr! Einer der Texte in meiner Publikation kommt von der jüdischen Autorin Mirna Funk und ein anderer vom jüdischen Autor (und meinem Freund) Dmitrij Kapitelman.
Gratuliere! Das klingt gut, werde ich mir ansehen.
Eine letzte Frage noch: Auf was freust du dich, wenn die Corona-Einschränkungen vorbei sind?
Ausstellungseröffnungen, mit Freunden ausgehen, Tacos und eine Lebensgefahr weniger.
Danke für das Interview!
(Foto-Credits:
Robert Schittko, Gunter Lepkowski, dotgain.info, Henning Rogge)