Julien Deiss
(Please find the english version below!)
Julien Deiss (geb. 1983) und ich haben uns fast 15 Jahre nicht mehr gesehen, als ich sein Atelier betrete. Irgendwie ist alles wie früher und doch hat sich viel getan: Julien hat die Zeiten an der Kunstakademie Düsseldorf längst hinter sich gelassen und lebt seit sieben Jahren in Kopenhagen. Wir treffen uns im Stadtteil Nørrebro, wo sein Studio liegt und gehen anschließend gemeinsam auf die Code Art Fair. Bei unserem Wiedersehen sprechen wir über seine Weiterentwicklung als Maler, über das Leben in Kopenhagen und die dänische Kunstszene.
Julien, deine neuen Arbeiten sehen viel abstrakter aus als die alten. Zumindest auf den ersten Blick. In meinen Augen changieren sie immer hin und her zwischen Figuration und Abstraktion. Man erkennt oft erst auf den zweiten Blick eine konkrete Figur. Aber zuvor waren deine Bilder doch eigentlich immer figurativ, oder?
Ja, richtig. Ich habe mich gefragt, warum male ich eigentlich figurativ? Also, zunächst mal, weil ich es gut kann. Das ist meine Komfortzone, wenn du so willst, weil ich es eben beherrsche. Körper zu zeichnen und so etwas, ist kein Problem. Aber ich finde es heute spannender, mich da heraus zu entwickeln. Ich will ja das Figurative nicht weiter perfektionieren und am Ende ein Hyperrealist werden, der letztlich nur wie ein Printer arbeitet. Wo ist da die Überraschung für dich selber?
Hast du aus dem Figurativen das Abstrakte entwickelt oder andersherum? Die aktuellen Arbeiten sehen so aus, als wenn das Figurative sich erst später als ein Layer über die abstrakte Grundierung legt.
Genau, heute arbeite ich so: Erstmal die Leinwände grundieren und im Nachhinein die Figur daraufsetzen. Aber vorher war es andersherum. Da war zunächst das Figurative da. Aber das limitiert dich auch wieder. Du denkst nicht mehr komplett frei, weil die Figur schon da ist. Und dann habe ich oft beim Malen befürchtet, ich könnte jetzt die Figur kaputt machen. Das begrenzt dich einfach zu sehr.
Weil das Konkrete immer schon da ist und zu viel vorgibt?
Ja, genau. Du musst anders herangehen, wenn du etwas verändern willst. Jetzt habe ich viel mehr Freiheiten, zur Figuration hinzugehen oder sie wegzulassen. Es geht darum, sich zurückzunehmen und darauf zu vertrauen, dass etwas Gutes da drinsteckt. Ich brauche ja vieles auch gar nicht von der Figur. Wenn du mehr offenlässt und nur an einigen Stellen konkret wirst, ist meist schon alles da, was du brauchst. Das ist viel poetischer und erzählt letztlich viel mehr.
Hier liegen einige Bilder vor uns, die eine interessante Grundierung haben. Wie entsteht die, also technisch?
Momentan bin ich dabei, mit der Cyanotypie zu experimentieren. Das geht im Prinzip wie beim Film entwickeln, eigentlich ist das der Ursprung der Fotografie. Die Cyanotypie funktioniert über Chemikalien, die auf Sonnenlicht reagieren. Damit kannst du gewissermaßen Kontaktdrucke herstellen. Du hast aber letzten Endes den Prozess viel weniger in der Hand, das kannst du nicht zu einhundert Prozent steuern.
Du hast vorhin erwähnt, dass du versuchst, dich selbst zu überraschen. Über die Cyanotypie kannst du also besser die Kontrolle abgeben?
Ja, absolut. Es ist zwar so in etwa planbar und eine gewisse Kontrolle habe ich dabei schon, aber es kommt vielmehr auf das Gefühl an. Du kannst so Pi mal Daumen mit Belichtungszeiten arbeiten, aber letztlich wirst du vom Ergebnis immer wieder überrascht. Auf Papier funktioniert das super und jetzt versuche ich es gerade auf Leinwand zu übertragen. Ich mache seit Wochen Research auf irgendwelchen Nerd-Foren, habe mich mit Experten unterhalten und dann letztens über eine Künstlerin den Kontakt zu einem italienischen Portraitfotografen bekommen. Der hat mir empfohlen, mit Gelatine zu arbeiten, was ich nun ausprobiere.
Das klingt spannend. Ich stelle mir gerade vor, wenn man morgens ins Atelier kommt und erstmal schaut, was aus den Bildern geworden ist. Hier hängen aber noch einige andere Bilder – woran arbeitest du noch gerade?
Im Moment arbeite ich an einer Bilderserie gemeinsam mit einer Psychologin, die ein Lehrbuch über narrative Therapieformen schreibt. Sie will nicht einfach nur ein weiteres Fachbuch schreiben, sondern sie will das näher an den Patienten bringen und die Narrativ-Therapie letztlich über den Dialog bzw. über die Resonanz vom einen auf den anderen erörtern. Je nachdem wie der eine sich zum anderen verhält, wechselt das Ergebnis. Jedes Kapitel ihres Buches fängt mit einem Zitat an. Und ich bekomme nur diese Zitate und male dazu jeweils ein Bild. Und die Frage ist: kann das Zitat, das der Ursprung eines Kapitels ist auch der Ursprung eines Bildes sein, das wiederum etwas über den Text aussagt? Es geht dabei nicht darum, die Texte zu illustrieren, das wäre ja langweilig. Es geht bei dem Experiment um den Dialog, wie bei Beuys, der dem toten Hasen die Kunst erklärt. Oder wie bei der Hassliebe zwischen Nietzsche und Wagner, sie konnten letztlich nur gut zusammen arbeiten in der Abwesenheit des anderen. Und so machen wir es auch: ich bekomme nur die Texte und sie sieht die Bilder, aber immer in Abwesenheit des Anderen. Wir sind gerade in der Endphase, mal sehen, was daraus wird. Es wird auf jeden Fall zum Book Release eine Ausstellung mit meinen Bildern und eine Lesung geben. Ich male die Bilder immer sehr frühzeitig fertig, Ich bin eigentlich immer zwei Wochen vor einer Ausstellung fertig.
Du malst nie bis zur letzten Minute vor einer Show?
Nein, nie. Das finde ich schrecklich. Ich will immer zwei Wochen vorher fertig sein, um noch mal Zeit und Abstand zu haben, damit ich dann bei der Ausstellung selbst Gast sein und das wirklich genießen kann.
Mir fällt auf, dass du sehr spezielle Rahmungen machst. Rahmst du die Bilder alle selber?
Ja, ich mach die Rahmen alle selbst. Und ich will die Rahmen in Zukunft in einer Autowerksatt lackieren. Am besten mit so einem Effektlack. Wie bei solchen Proll-Autos. Ich finde ein schwarzer Rahmen erstickt die Bilder oft, so dass sie keine Luft mehr bekommen. Der Rahmen ist die Erweiterung des Bildes, du kannst da fast schon von einer Installation sprechen. Der Rahmen geht eine Verbindung mit dem Bild ein. Am besten finde ich meistens die Reduktion, eine feine Schattenfuge, die dem Bild Luft lässt. Ich arbeite auch gerade an hinterleuchteten Rahmen. Da kommt eine Platine hinter und in der Ausstellung soll das dann unregelmäßig aufflackern. Es ist mir dann auch egal, ob das besser oder schlechter verkäuflich ist. Ich muss das erstmal selbst cool finden und ich finde zum Beispiel so einen Las-Vegas-Wedding-Chapel-Charme cool, sowas Unperfektes.
Also Effektlack und Las Vegas Charme – das klingt schon nach einer gewissen Liebe zum Trash, oder?
Ja, klar. Das ist vielleicht auch ein Ding unserer Generation. Ich finde auch so Arcade Game Optik toll.
Wir sind einfach mit sowas groß geworden. Mir machen auch die Grafiken vom C64 bis heute Spaß.
Ja eben, genau sowas.
Lass uns mal über dein Studium sprechen. Als wir uns damals in Berlin gesehen haben, hattest du dich doch gerade in Weißensee beworben, oder?
Ja, genau. Ich war auch damals zur Prüfung eingeladen worden und habe mich dann dort mit einem der Prüfer angelegt. Du bist halt noch Jugendlicher und denkst du kennst die Welt und einer der Professoren hat sich wie ein Arschloch benommen. Ich habe mich dann auch entsprechend benommen und meinte irgendwann zu ihm: „Was wollen sie denn? Idioten, Roboter, die sie steuern können, oder was?“ Woraufhin er dann meinte: „Herr Deiss, Sie brauchen morgen nicht mehr zu kommen, dafür werde ich sorgen.“ Was eigentlich ganz gut war, denn im Jahr darauf bin ich dann in Düsseldorf angenommen worden.
In Düsseldorf warst du dann bei Lüpertz in der Klasse, oder?
Ja, bei Lüpertz habe ich angefangen. Und dann war ich Gasthörer bei Tal R, der ja hier in Dänemark eine Art Ikone ist.
Tal R ist wirklich ein großartiger Künstler, seine Arbeiten sind einfach stark.
Ja, zweifellos ein super Künstler und ein wahnsinnig netter Typ. Aber nicht unbedingt ein guter Dozent oder Professor. Auch wenn man von ihm sehr, sehr viel lernen kann. Aber das passiert eher, wenn du dich mit ihm privat unterhältst und nicht in Kolloquien.
Ein guter Künstler zu sein und ein guter Professor, das sind ja auch zwei Paar Schuhe. Zwei unterschiedliche Disziplinen könnte man sagen.
Eben, das denke ich auch. Die Studenten sind ja keine fertigen Künstler, mit denen du dort redest. Der eine verträgt nicht die selbe Kritik wie der andere. Du musst da viel pädagogischer herangehen. Wobei ich schon ein Freund harter Schule bin.
Es macht durchaus Sinn, mit den Studenten Klartext zu reden, oder?
Ja, das brauchst du. Deswegen war ich dann zum Schluss auch beim Anzinger, dem Wiener. Er kann schon manchmal ein Arschloch sein, aber ein sehr gutes Arschloch! Ich weiß noch, als ich vor der ganzen Klasse meine Bilder zeigen wollte, guckt er kurz vorher darauf und sagt: „Julien, mach mal lieber zehn neue Bilder und komm in zwei Wochen wieder.“ Ich habe mich tierisch aufgeregt und wollte es ihm dann natürlich zeigen. Ich komme zum nächsten Kolloquium mit neuen Bildern und er sagt: „Ah, neue Bilder, gut. Aber ich fand die alten auch gut.“ Er wollte mich einfach mal ein bisschen kitzeln und ärgern. Letztlich ist diese Lebensschule wichtiger als jede Ästhetik-Vorlesung, weil es dich besser auf das Künstlerdasein vorbereitet.
Du sprichst von Lebensschule. Was hast du aus der Rückschau von der Düsseldorf-Zeit für dich mitgenommen?
Zunächst mal eine Handvoll gute Kollegen, mit denen man einen guten Drive entwickelt hat, um Sachen durchzuziehen. Aber hauptsächlich war es eine Persönlichkeitsschulung. Es geht um die Auseinandersetzung und wie man mit Kritik umgeht. In Düsseldorf konnte man sich das auch selber zurechtlegen, zu welchem Professor man geht, dich hält da ja keiner auf. Aber die Professoren sind eben auch nicht alle immer vor Ort. Ich war zum Beispiel auch bei Peter Doig. Der ist aber nur zwei Mal im Jahr da, weil er in Tobago lebt. Dann hast du eine intensive, kurze Zeit und dann ist er auch wieder weg.
Doig ist natürlich auch ein Superstar.
Klar, er ist ein Superstar. Und er ist mein absoluter Lieblingsmaler. Aber der Anzinger hingegen, der war halt fast jeden Tag da, was eben auch sehr viel Wert ist.
Ich denke als Student brauchst du einfach die Reibung, um deinen eigenen Weg zu finden.
Denke ich auch. Wenn ich mir die Akademie hier in Kopenhagen zum Beispiel angucke, die ist so durchgestylt, mit Bachelor-Master-System. Alle drei Wochen ein Assignment und du hast gar nicht die Zeit und die Freiheit mal ein Jahr lang an einer Sache in Ruhe zu arbeiten. Du kannst ja in so kurzer Zeit nix fertigmachen. Mir kann keiner erzählen, dass du in drei Wochen ein Konzept komplett ausarbeiten kannst. Du hast ja nie genug Zeit, was fertig zu machen. Bis zu deinem Abschluss, wo du dann mal ein halbes Jahr lang Zeit hast für deine Arbeit. Das wirft dann Künstler raus, die zwar zum Teil gute Sachen machen, aber eben oft auch so, dass man denkt: hat man schon mal gesehen. Jeder zitiert ja, aber dann musst du auch Ahnung davon haben. Wenn ich Man Ray zitiere, dann muss ich ihn auch kennen und ich muss auch die Leute, die ihn umgeben haben, kennen. Dann musst du die ganze Szene kennen. Es sei denn, du wählst eine bewusst naive Herangehensweise, aber eben nicht ungewollt naiv. Das sieht man dann an der Arbeit selber. Wenn ich mir die Abschlüsse angucke, ist das zum Teil nur oberflächlich, da kommt nichts hinterher, das fühlt man auch.
Wie empfindest du die Kunstszene hier in Kopenhagen?
Sehr stark beeinflusst von der Akademie. Viele Installationen, vieles ist fast schon Design. Sehr stylische Arbeiten, skandinavisch reduziert und sehr ästhetisch. In dem Punkt trifft es sich dann auch wieder mit meinem Geschmack. Also, das Reduzierte, die Arbeiten in ihrer Einfachheit, das kann ich schon gut nachvollziehen.
Ist das der Style der Akademie oder der dänische Style generell?
Der Akademie-Style ist gewissermaßen der dänische Style, weil es hier einfach so klein ist. Das ist hier nicht wie in Deutschland, wo du deutlich mehr und vielfältigere Einflüsse hast.
Also ist es wesentlich homogener in Dänemark als in Deutschland?
Ja, sehr. Und deswegen sind oft die interessantesten Leute, die hier gezeigt werden in den Top-Galerien eben Deutsche. Besonders in der Malerei, die kommt dann oft aus Deutschland. Wie Daniel Richter oder zum Beispiel ein Kumpel von mir, Florian Meisenberg.
Wie kommt es, dass Malerei heute wieder so stark ist? Nach der Konzeptkunst-Zeit in den 70ern, kam ja in den 80ern die Malerei zurück mit Leuten wie Schnabel oder Basquiat und in Deutschland mit den Neuen Wilden, wie Kippenberger, Oehlen oder Büttner. Danach schien es nachzulassen und heute ist die Malerei wieder extrem präsent. Woran liegt das?
Ich glaube, weil Malerei einfach unmittelbarer ist. Malerei arbeitet wie eine Garagenband, bumms und raus damit. Unmittelbar. Bei anderen Medien, wie bei Installationen und Skulpturen reagierst du ja viel langsamer und langfristiger auf Dinge und nicht so direkt wie bei der Malerei. Wenn du von einem Malerei-Revival sprichst, dann siehst du ja heute auch wieder Leute, die malen wie die Cobra Gruppe zum Beispiel.
Liegt es vielleicht auch an der Digitalisierung? Je digitaler und slicker alles wird, desto mehr sehnt man sich ja auch wieder nach dem Analogen, nach einer Haptik, Geruch, nach Textur und solchen Dingen.
Ja, so eine Gegenbewegung ist deutlich zu merken. Wenn wir über einen Zeitgeist oder ein Zeitgefühl reden, kannst du ganz eindeutig sagen, dass das Pendel gerade wieder zurückschlägt auch in anderen Bereichen. Ob es das Skateboarden ist, die Musik oder die Kleidung … überall eigentlich und auch in der Kunst bzw. Malerei. Wenn ich heute die Kids wieder Skateboard fahren sehe mit ihren Thrasher T-Shirts und ihren Carhartt Klamotten, dann sehe ich mich selbst mit 12 Jahren.
Malerei ist ja auch nach wie vor gefragt, wenn es um Verkäufe geht. Welche Galerie vertritt dich jetzt aktuell?
Galerie Wolfsen in Aalborg. Sie sind aktuell nicht unter den Top Ten Galerien in Dänemark, aber kurz dahinter. Und ich glaube es ist sogar die umsatzstärkste Galerie in Dänemark. Das ist natürlich eine große Hilfe für mich, also die finanzielle Unabhängigkeit, die ich durch die Verkäufe habe. Ich kann gerade sehr meine finanzielle Freiheit genießen, da ich dieses Jahr schon viele Bilder verkauft habe. Da kann man auch mal drei Wochen nur hier sitzen und die grundierten Leinwände angucken – das ist ein Luxus, der dir kreative Freiheit gibt. Langfristig gesehen, muss man natürlich kritisch bleiben und gucken, wie man sich positioniert. Ich will jetzt auch nicht 5 Jahre nur das Selbe machen, sondern mich weiterentwickeln. Und manchmal ist es sicher auch hilfreich, mit ein bisschen Druck zu malen, aber ich glaube, wenn du immer schnell abliefern muss, ist es gefährlich und es kommen dann oft nicht die geilsten Sachen dabei heraus. Da kenne ich einige Beispiele von Leuten, die wirklich ausgesaugt worden sind. Plötzlich ist der Erfolg da und du musst auf einmal liefern. Der Galerist sagt, mach mehr und mehr und mehr. Das kann ein enormer Druck sein und dann kommen Finanzen und Steuern und Kleinigkeiten dazu, die du auch im normalen Leben machen musst, die du aber nicht lernst, wenn du auf der Akademie bist. Ich glaube es ist gut, sich Zeit zu nehmen, um sich ein Modell aufzubauen, was skalierbar ist. Also, wenn das funktioniert, kannst du es expandieren und größer machen, wenn man an Produktion denkt und so weiter. Dann kann dir eigentlich nichts passieren. Und wenn du selber zufrieden bist damit, dann ist es auch egal, wenn es am Ende nix wird.
Wie ist der Kontakt mit der Galerie zustande gekommen?
Der Kurator der Galerie hat mich eigentlich seit meiner ersten Ausstellung hier in Dänemark beobachtet. Aber erst die Arbeiten von vor einem halben Jahr, da hat es Klick gemacht bei ihm. Da hat er dann gesagt, das kann ich mir jetzt super vorstellen.
Er hat quasi deine Entwicklung so lange beobachtet, bis ihn die Arbeiten wirklich überzeugt haben?
Ja, genau. Es hat eine Weile gedauert bis er gesagt hat, okay, jetzt haut es mich wirklich um. Und das ist schon lustig, wenn so jemand sagt, jetzt bist du bei mir, in dem Moment verkaufen sich die Arbeiten. Nur weil er sagt, das ist gut oder nicht, verkaufen sich die Sachen plötzlich oder eben nicht. Es ist schon absurd, ob dein Bild in dem einen Raum hängt oder in einem anderen, kann einen gewaltigen Unterschied machen.
Wer sind deine Vorbilder in der Kunst?
Eigentlich ist mein Vorbild nicht direkt ein Künstler, sondern das Gefühl, das ich habe, wenn ich zum Beispiel vor einem Peter Doig Bild stehe. Dieses Gefühl ist dann mein Vorbild. Aber wenn wir von konkreten Künstlern sprechen, ist es aus der Kindheit zuallererst mal Egon Schiele. Als ich noch ganz jung war, hat meine Tante mich mal nach Paris mitgenommen ins Museum, da habe ich Originale von Schiele gesehen, das weiß ich noch. Und dann von Monet die Wasserlilien und so weiter im Musée de l’Orangerie, das war auch ein prägendes Erlebnis. Also wenn wir jetzt von Kindheitserinnerungen reden.
Und so aktuell, gab es zuletzt eine Ausstellung, die dich besonders beeindruckt hat?
Also, das Louisiana Museum hier in der Nähe von Kopenhagen ist das schönste Museum, das ich je gesehen habe. Viele kleine Pavillons, die in die Küstenlandschaft eingelassen sind. Die haben dort alle meine Lieblingsmaler gezeigt, wie Tal R und Peter Doig und dann nicht nur ein Bild, sondern immer gleich ganz viele Bilder von denen. Das ist so toll, da kriege ich Gänsehaut, wenn ich daran denke.
Das klingt echt verdammt gut. Am Wochenende werde ich dort sein und bin schon sehr gespannt darauf. Sind es auch Vorbilder, die dich motivieren oder was treibt dich an, immer wieder ins Atelier zu gehen?
Die Frage ist ja: Wofür macht man das denn hier? Ich mache das ja nicht, um schöne Bilder zu malen. In erster Linie ist es eine Befriedigung für mich, damit ich ein zufriedener, ausgeglichener Mensch bin. Mit sich selber hier im Atelier zurecht zu kommen, ist doch das Schönste, was du haben kannst. Niemand stresst dich. Und wenn das Endresultat dich auch noch befriedigt, umso besser.
Wenn du malst, wieviel ist dann bewusste Entscheidung und wieviel ist Zufall im Prozess?
Es ist eine bewusste Hinwendung zum Zufall, also eine bewusste Entscheidung, den Zufall einzugrenzen. Du wirst mit der Zeit immer besser, das zu steuern. Du machst 20 Bilder und zwei davon sind wirklich gut. Und dann fragst du dich: warum reichen die anderen Bilder nicht an die beiden heran? Ich glaube bei den beiden warst du einfach in deiner Zone, im Flow, da läuft es dann einfach. Und diesen Flow zu erreichen, das fängt mit kleinen Ritualen an: Zur welcher Tageszeit arbeite ich am besten? Was habe ich gefrühstückt und so weiter. Ich bin ein Frühaufsteher, male ganz früh morgens, wenn der Körper noch nicht ganz wach ist, aber der Geist klar. Und um drei Uhr nachmittags ist dann Schluss. Danach rede ich auch nicht mehr über Kunst. Es wäre ja arrogant zu denken, dass jeder davon etwas hören will. Ich habe einen Kumpel, der ist Gas- Und Wasserinstallateur. Den habe ich ins Atelier eingeladen und er sagte nur: „Lass uns lieber in eine Kneipe gehen. Oder würdest du mir gerne zusehen, wie ich eine Toilette repariere?“ Das zeigt dir, dass du immer wieder Abstand gewinnen musst.
Schönes Beispiel mit deinem Kumpel. Und dann gibt’s so Freaks wie mich, die lieben es im Atelier abzuhängen.
Ja, wenn das Interesse da ist, wie bei dir, erzähle ich das natürlich gerne und rede gerne über meine Arbeit.
Ich empfinde Atelierbesuche immer als etwas Besonderes und als eine sehr persönliche Angelegenheit.
Ja, absolut. Das Atelier ist der erweiterte Kopf des Künstlers. Du kriegst dort viel mehr von einer Persönlichkeit mit. Es ist wie die Bedienungsanleitung zu einem Künstler.
In diesem Sinne: danke, dass du mich in deinen Kopf gelassen hast.
Gerne! Bist jederzeit willkommen. Und jetzt auf zur Messe…
Julien Deiss (born 1983) and I didn't see each other for almost 15 years when I entered his studio in Copenhagen. Somehow everything is as it used to be, even though a lot has happened in between: Julien left the Düsseldorf Art Academy long time ago and has been living in Copenhagen for seven years now. We meet in Nørrebro, where his studio is located, and then go to the Code Art Fair together. At our reunion we talk about his development as a painter, about life in Copenhagen and the Danish art scene.
Julien, your new works look way more abstract than the old ones. At least at first sight. In my eyes, they always oscillate back and forth between figuration and abstraction. One only recognizes a figure at second glance. But in the beginning, your paintings were always figurative, weren't they?
Yes, that's right. I asked myself, why do I actually paint figuratively? Well, first of all, because I'm good at it. That's my comfort zone, because I'm in control of it. Drawing bodies and stuff like that isn’t a problem for me at all. But today I find it more exciting to develop it further. I don't want to bring the figurative painting to perfection and in the end become a hyper-realist who almost works like a printer. Where's the surprise for yourself?
Have you developed the abstract from the figurative or vice versa? The current works look as if the figurative is laid as a layer over the abstract primer.
Exactly, today I'm working like this: First prime the canvases and then put the figure on. But when I started, it was the other way around. First there was the figurative. But that limits yourself. You don't think completely free because the character is already there. I often was afraid while painting that I could destroy the figure. That just limits you too much.
Because the figur is determining the picture too much and doesn’t leave enough freedom in the further process?
Yes, that's what I mean. You have to approach things differently if you want to change something. Now I have much more freedom to go to figuration or omit it. It's about taking a step back and trusting there's something good in it. I don't even need much of the figure. If you leave more open and only become concrete in a few places, everything you need is usually already there. This is much more poetic and ultimately tells much more.
Here are some paintings, which have an interesting primer. How are they created, technically?
Right now I'm experimenting with cyanotype. Basically, this is like developing a film, which is actually the origin of photography. Cyanotyping works by using chemicals that react to sunlight. You can use it to make contact prints, but you can't control that one hundred percent.
You mentioned earlier that you were trying to surprise yourself. So you can better give up control by working with the technique of cyanotyping?
Yes, absolutely. It can only be planned roughly and I have a certain amount of control, but it depends more on the feeling. You can work with approximate exposure times, but in the end you are surprised by the result again and again. On paper it works great and now I'm trying to transfer it to canvas. I've been doing research on some nerd forums for weeks, talked to experts and recently got in touch with an Italian portrait photographer. He recommended to work with gelatine, which I am now trying out.
That sounds exciting. I just imagine when you come to the studio in the morning and see what happened to the paintings meanwhile… But here are also some other paintings - what are you working on at the moment?
I am currently working on a series of pictures together with a psychologist who is writing a book on narrative forms of therapy. She does not simply want to write another book, but she wants to bring it closer to the patient and ultimately discuss narrative therapy through dialogue and resonance from one to the other. Depending on how one behaves to the other, the result changes. Every chapter of her book starts with a quote. And I only get these quotes and paint one picture for each. And the question is: can the quote that is the origin of a chapter also be the origin of an image that in return says something about the text? The point is not to illustrate the texts, that would be boring. The experiment is about dialogue, as Beuys explains art to the dead rabbit. Or as with the love-hate relationship between Nietzsche and Wagner, in the end they could only work well together in the absence of each other. And this is how we do it: I only get the texts and she sees the pictures, but always in the absence of the other. We're just in the final stages, let's see what happens. In any case there will be an exhibition with my pictures and a reading for the book release. I always finish the paintings very early, I am actually always finished two weeks before an exhibition.
You never paint until the last minute before a show?
No, never. I think that's terrible. I always want to be ready two weeks in advance in order to have time and distance again so that I can be a guest at the exhibition myself and really enjoy it.
I notice you do very special framing. Do you frame all the pictures yourself?
Yes, I produce all the frames myself. And I want to paint the frames in a car repair shop in the future, with an effect varnish like that. It's like those chavvy cars. I find a black frame often suffocates the pictures so that they can't breathe. The frame is the extension of the picture, you can almost speak of an installation. The frame connects to the image. The best thing I usually find is the reduction, a fine shadow gap that gives the picture some air to breathe. I'm also working on backlit frames right now. There is a circuit board behind and in the exhibition it is supposed to flare up irregularly. I don't care if it's better or worse for sale. I have to think it's cool myself and I think a Las Vegas-Wedding-Chapel-Charme is cool, something imperfect like that.
So effect varnish and Las Vegas charm - that sounds like a certain love for trash, doesn't it?
Yeah, right. This may be one of our generation's things, too. I love the look of Arcade Games, too.
Sure, we grew up with this. I also enjoy the graphics from the C64 still today.
Yeah exactly, stuff like that.
Let's talk about your time as an art student. When we met in Berlin, you just applied in Weißensee, didn't you?
Yes, that’s right. I had been invited to the examination at that time and then had a quarrel there with one of the examiners. At that age when you apply to an art school, you think you know the world… and okay, one of the professors behaved like an asshole. And then I behaved kind of in the same way and at some point I said to him: "What do you want? Idiots, robots that you can control, or what?" He then said, "Mr. Deiss, you know what, you won’t come back here tomorrow, I’ll take care of that." Which was actually quite good, because the following year I was accepted in Düsseldorf.
In Düsseldorf, you were in the class of Markus Lüpertz, right?
Yes, I started in the class of Lüpertz. And then I was a guest auditor at Tal R, who is kind of an icon here in Denmark.
Tal R is really a great artist, his works are incredibly strong.
Yes, undoubtedly a great artist and an incredibly nice guy. But not necessarily a good lecturer or professor. Even if you can learn a lot from him. But that's what happens when you talk to him privately, not in colloquia.
Being a good artist and a good professor are two pairs of shoes. Two different professions that require different skills.
That's what I think, too. The students who you talk to at the academy aren't finished artists and not everyone can take the same amount of criticism. You should go for a very pedagogical approach here. Although I'm personally a friend of a tough way of teaching.
It makes sense to talk to the students in a very clear and honest way, doesn't it?
Yes, absolutely. That's why I ended up at Anzinger’s class, you know, the guy from Vienna. He can be an asshole sometimes, but a very good asshole! I remember when I wanted to show my pictures to the whole class, he looked at them shortly before and said: "Julien, you better paint ten new paintings and come back in two weeks." I got really angry and wanted to prove him wrong, of course. I came to the next colloquium with new paintings and he said: "Ah, new paintings, good. But I liked the old ones, too." He just wanted to tickle me a little bit and piss me off. Ultimately, the school of life is more important than any aesthetic lecture because it prepares you better for being an artist.
You're talking about the art school as a school of life - what did you take out for yourself from the time at the Arts Academy in Düsseldorf?
First of all a handful of good colleagues with whom I have developed a good drive to make things happen. But mostly it was about my personal development and about how to deal with criticism. In Düsseldorf, you can choose to which professor you want to go to, and nobody stops you there. But the professors are also not all always on site. I was with Peter Doig, for example. He only comes twice a year because he lives in Tobago. When he’s at the academy you have an intense time and then he's gone again.
A superstar like Peter Doig doesn’t have a lot of time for his students probably…
Sure, he's a superstar. And he's my absolute favorite painter. But Siegfried Anzinger, on the other hand, was there almost every day, which is also worth a lot for the students.
I think as a student, you need the friction and the confrontation to find your own way.
I guess so. When I look at the academy here in Copenhagen, for example, it's super stylish, with a bachelor-master system. One assignment every three weeks and you don't have the time or the freedom to work on one thing for a year. You can't finish anything in such a short time. You can’t work out a concept in three weeks completely. You never have enough time to finish something. Until you graduate, where you have half a year for your work. This system creates artists who do good things, but often in a way that you think you've seen the stuff before. Everyone quotes and referes to other artists, which is okay, but if you do so, you must know what you’re doing there. When I quote Man Ray, I need to know him and I need to know the people who surrounded him. Then you must know the whole scene. Unless you choose a consciously naive approach, but not unintentionally naive. You can see that in the work itself. When I look at the work of the graduates, it's often quite superficial, it's not substantial, you can feel it.
How do you feel about the art scene here in Copenhagen?
It’s very much influenced by the academy. Many installations, a lot of art is almost design here. Very stylish works, typical Scandinavian style, very reduced and very aesthetic. But regarding this, it kind of matches with my taste. The reduced, minimalistic stuff, the works in their simplicity, I can understand that quite well.
Is this the style of the academy or the Danish style in general?
The academy style is, so to speak, the Danish style because everything is so small here. It’s not like in Germany, where you have so many influences from different parts of the country.
So it is much more homogeneous in Denmark than in Germany?
Yes, very much. And that's why the most interesting people who are shown here in the top galleries are often from Germany. Especially in painting, which often comes from Germany. Like Daniel Richter for example, or a buddy of mine, Florian Meisenberg.
How is it that painting is so strong again today? After the Concept Art period in the 70s, painting came back in the 80s with people like Schnabel or Basquiat and in Germany with the “Neue Wilde” like Kippenberger, Oehlen or Büttner. Afterwards it seemed to diminish and today painting is again extremely present. Why is that?
I think because painting is simply more immediate. Painting works like a garage band, bang and out with it. Immediately. In other media, such as installations and sculptures, you react much more slowly and long-term to things and not as directly as in painting. If you talk about a painting revival, then you'll see people again today who paint like the Cobra Group, for example.
Is it perhaps also due to digitisation? The more digital and slicker everything becomes, the more one yearns for the analog, for a haptic, smell, texture and such things.
Yes, such a counter-movement is clearly noticeable. If we are talking about a zeitgeist, you can clearly say that the pendulum is just striking back again in other areas as well. Whether it is skateboarding, music or clothing ... everywhere actually and also in art or painting. When I see the kids skateboarding again today with their Thrasher T-shirts and their Carhartt clothes, I see myself at the age of 12.
Painting is still very much in demand when it comes to sales. Which gallery is currently representing you?
Wolfsen Gallery in Aalborg. They are currently not among the top ten galleries in Denmark, but shortly behind. And I think it is even the gallery with the highest turnover in Denmark. That is of course a great help for me, I mean, the financial independence I have through the sales. I can enjoy my financial freedom right now, as I have already sold many pictures this year. You can even sit here for three weeks and watch the primed canvases - this is a luxury that gives you creative freedom. In the long run, of course, you have to stay critical and see how you position yourself. I don't want to do the same thing for years and years, I want to develop myself. And sometimes it's certainly helpful to paint with a little pressure, but I think if you always have to deliver quickly, it's dangerous and often you don’t produce the hottest shit under pressure. I know some examples of people who have really been overworked and kind of burned out. All of a sudden there's success and you have to deliver nonstop. The gallery owner says, do more and more and more. That can be an enormous pressure and then there are finances and taxes and stuff you have to do in normal life, but what you’ve never learned when you were at the academy. I think it's good to take the time to build a model that's scalable. So if that works, you can expand it and make it bigger if you think about production and so on. Then nothing can actually happen to you. And if you're satisfied with it yourself, that’s what matters most.
How did you get in contact with the gallery?
The curator of the gallery has actually been watching me since my first exhibition here in Denmark. It took a while, until my work from half a year ago, convinced him. And then he said, now I can really imagine it.
He observed your development until the works really convinced him?
Yes, exactly. It took him a while to say, okay, now it's really awesome. And it's funny when you are signed at a gallery like this, that's when the works sell. Just because he says it's good, things start to sell. It's absurd whether your picture is hanging in one room or another can make a huge difference.
Who are your role models in art?
Actually, my role model is not directly an artist, but the feeling I have when, for example, I stand in front of a Peter Doig painting. This feeling is kind of a role model for me, if that makes sense.
But when we talk about artists, it is first and foremost Egon Schiele. When I was very young, my aunt took me to the museum in Paris, where I saw originals by Schiele, I remember that. And then the water lilies from Monet and so on in the Musée de l'Orangerie, that was also a mind-blowing experience, taking about childhood memories.
And was there a recent exhibition that particularly impressed you?
So, the Louisiana Museum here near Copenhagen is the most beautiful museum I've ever seen. Many small pavilions embedded in the coastal landscape. They all showed my favorite painters there, like Tal R and Peter Doig and not just one picture, but always a lot of pictures of them. It's so great, it gives me goose bumps when I think about it.
That sounds good. I'll be there on the weekend and I'm very excited…
What motivates you to go to the studio every day?
The question is: why are you doing this? I'm not just doing this to paint nice, beautiful pictures. First and foremost, I’m doing this to be a happy person who is in a good balance. Getting along with yourself here in the studio is the most beautiful thing you can experience. Nobody's stressing you out. And if in the end the result satisfies you, that’s even better.
If you paint, how much is a conscious choice and how much happens by chance in the process?
It is a conscious turn to chance, a conscious decision to limit chance. You'll get better and better at controlling this over time. You paint 20 pictures and two of them are really good. And then you ask yourself: why don't the other paintings come close to the two of them? I think with those two, you were just in your zone, in the flow so to say. And achieving that flow starts with little rituals: At what time of the day do I work best? What did I have for breakfast and so on. I am an early morning person, I paint very early in the morning when the body is not quite awake yet, but the mind is clear. And at three o'clock in the afternoon, it's over. After that, I don't talk about art anymore. It would be arrogant to think everyone wants to hear about it. I got a buddy who's a gas and water plumber. I invited him to my studio and he just said: "Let's go to a pub. Or would you like to watch me fix a toilet?" That showed me that you always have to keep your distance to work.
Haha, very nice example, so true. And then there are freaks like me, who love to hang out in the studio all day.
Yes, if someone is so interested, like you, I love to talk about my work of course.
I always find studio visits to be something special and a very personal, almost intimate experience, don’t you think?
Yes, absolutely. The studio is the extended head of the artist. You learn a lot more about the personality there. It's like the instruction manual for an artist.
Haha, it definitely is! Thank you for the great chat…
Thank you. You're welcome anytime. And now, let’s go to the fair...